19.3.2019

Arbeitgeberverbände der AWO und der Diakonie stellen Zukunft der ambulanten Pflege infrage

Schiedsgerichs-Termine im März und April 2019

In einer gemeinsamen Pressekonferenz des DDN und des AGV AWO Deutschland stellten die Vorsitzenden beider Arbeitgeberverbände Rüdiger Becker und Rifat Fersahoglu-Weber die nunmehr verzweifelte Lage der Ambulanten Pflegedienste dar, die Ihre Mitarbeitenden nach Tarifvertrag bezahlen. Würden die Kassen die ambulante Pflege nicht endlich kostendeckend vergüten, müssten die Arbeitgebervertreter von Diakonie und AWO ihren Mitgliedseinrichtungen empfehlen, ihre Arbeit in der ambulanten Pflege einzustellen. Es sei nicht mehr refinanzierbar.

Immer mehr Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Immer mehr Menschen müssen sich zu früh in stationäre Behandlung begeben, obwohl sie ambulant betreut werden könnten und auch gerne in ihren eigenen Wänden bleiben würden. Eine nicht auskömmliche Refinanzierung durch die Kostenträger hat in Niedersachsen dazu geführt, dass ambulante Pflegedienste zunehmend Anfragen von Patienten ablehnen müssen oder gar in die Insolvenz gehen. Bisher konnte keine Einigung der Pflegedienstbetreiber mit den Kostenträgern erzielt werden. Das kann zu weiteren Schließungen von Pflegediensten führen.

Die Situation begründet sich nicht durch zu hohe Löhne oder unwirtschaftlicher Arbeit, sondern daran, dass die tatsächlich entstehenden Kosten in der Pflege nicht ausreichend und realitätsfern refinanziert werden. 72 % der ambulanten Dienste erwirtschafteten in 2016 negative Betriebsergebnisse. Unter anderem liegt dies daran, dass eine Fahrt zum Patienten durchschnittlich sechs Minuten dauert, von den Kostenträgern aber lediglich drei Minuten erstattet werden.

Viele nicht tarifgebundene Pflegedienste geben diese Unterdeckung an ihre Mitarbeitenden weiter und bezahlen Wegezeiten zwischen zwei Patienten nicht mit dem vollen Stundenlohn oder werten sie gar nicht erst als zu bezahlende Arbeitszeit. Die Mitarbeitenden müssen somit die durch „Rennpflege“ genannte Arbeitsverdichtung kompensieren. Für menschliche Zuwendung beim Pflegeinsatz bleibt kaum noch Raum. Ungerechte Bezahlung und „Rennpflege“ sind unmittelbare Ursachen des Fachkräftemangels und des mitunter schlechten Images in der Pflege.

Die Arbeitgeberverbände der AWO (AGV) und der Diakonie (DDN) haben vor rund fünf Jahren beschlossen, dem von den Kostenträgern forcierten Wettbewerbsdruck mit den Preisen nicht an Tarifverträge gebundener Pflegedienste nicht durch Ausstieg aus der Tarifbindung zu Lasten der eigenen Mitarbeitenden zu begegnen, sondern sich dafür einzusetzen, die tatsächlichen Aufwendungen der Pflegedienste erstattet zu bekommen.

Dazu wurde ein detailliertes Kostenmodell auf Datenbasis von 200 Pflegediensten erarbeitet, das transparent die benötigten Gelder in der ambulanten Pflege und die derzeitigen Lücken in der Refinanzierung dokumentiert. Seit der Präsentation der Ergebnisse vor über 15 Monaten hat sich an der Haltung der Kostenträger nichts verändert – eine Entscheidung, die die wirtschaftliche Situation der Pflegedienste zusätzlich zu den alltäglichen Problemen noch um ein Vielfaches verschärft. Die für Ende März und Anfang April 2019 terminierten Schiedsgericht-Termine werden richtungsweisend für die Zukunft in der Pflege sein.

„Wir weigern uns, den Wettbewerb auf dem Rücken unserer Mitarbeitenden auszutragen. Gute Arbeit braucht eine gute Bezahlung und gute Tarifverträge müssen das festschreiben“, erläutert Rüdiger Becker, Vorstandsvorsitzender Diakonischer Dienstgeberverband Niedersachsen (DDN). „Ein Ausstieg aus den Tarifverträgen kommt für uns nicht in Betracht. Die Fortsetzung stetig Verluste verursachender ambulanten Pflegebetriebe wäre aber betriebswirtschaftlicher Wahnsinn.“

„Die aktuellen Vergütungen in der ambulanten Pflege sind realitätsfern und die Kostenträger sind dabei, die Pflege an die Wand zu fahren. Diese Haltung hat gravierend negative Auswirkungen auf die Pflegebedürftigen in Niedersachsen“, konkretisiert Rifat Fersahoglu-Weber, Vorsitzender

Am 21. März 2019 und Anfang April stehen entscheidende Schiedsgerichtstermine an. Vom Ergebnis wird abhängen, ob Diakonie und AWO in Niedersachsen sich weiter in der ambulanten Pflege engagieren oder ihre Drohung wahrmachen und aussteigen.

Ohne die Anpassung der Refinanzierung sind die Arbeitsgeberverbände gezwungen, ihren Mitgliedern den Ausstieg aus der ambulanten Pflege zu empfehlen Die Arbeitgeberverbände der AWO und der Diakonie in Niedersachsen fordern deshalb von allen Verfahrensbeteiligten, umgehend ihrer Verantwortung für die Sicherstellung ambulanter Pflege in Niedersachsen bei umfassender Refinanzierung der Tarifgehälter der Mitarbeitenden gerecht zu werden und somit der Betriebsaufgabe von Pflegediensten und der weiteren Zunahme der ohnehin dramatischen Unterversorgung massiv entgegen zu steuern.

Die Pressekonferenz hat erfreuliche Resonanz erfahren, hier einige Links:

NDR.DE 17.03.2019 AWO und Diakonie: Ausstieg aus ambulanter Pflege?

NDR.DE 18.03.2019 Drohender "Pflegekollaps": Reimann appelliert

RTL-Nord 18.03.2019 AWO und Diakonie in Niedersachsen drohen aus ambulanter Pflege auszusteigen

NDR//Aktuell - 18.03.2019 14:00 Uhr - Ambulante Pflege bei AWO und Diakonie vor dem Aus? mit einem Interview mit der niedersächsischen Sozialministerin

Sat 1 regional 18.03.2019 Ambulante Pflegedienste fordern mehr Geld

Sozialministerin fordert Refinanzierung von Tariflöhnen und Wegezeiten, wie es das Bundesgesetz vorsieht